Amtsgericht Mitte, Urteil vom 8. März 2013 – 114 C 3235/12
Münden zwei Nebenstraßen von derselben Seite nebeneinander in einen gemeinsamen Einfahrtsbereich in eine Vorfahrtstraße, gilt für die Benutzer der Nebenstraßen untereinander die Rechts-vor-links-Regel des § 8 Abs. 1 Satz 1 StVO.
In einem durch Rechtsanwalt Säverin erstrittenen Urteil hat das AG Mitte heute für eine besondere Kreuzungssituation (zwei Nebenstraßen treffen von derselben Seite nebeneinander in einem gemeinsamen Einfahrtsbereich auf eine Vorfahrtstraße) entschieden, dass für die beiden aus der Nebenstraße kommenden Fahrzeuge die Rechts-vor-links-Regel gilt und dass im Falle einer Kollision derjenige, der von rechts kommt, zu 1/3 und derjenige, der von links kommt, zu 2/3 haftet. Im konkreten Fall ging es um die Kreuzung Alt-Buch / Zepernicker Straße / Schwanebecker Chaussee / Am Stener Berg in Berlin. Der beklagte und widerklagende Mandant (2) war von der von rechts auf die Vorfahrtstraße einmündenden Nebenstraße gekommen.
Der klagende und widerbeklagte Unfallgegner (1) war von der von links auf die Vorfahrtstraße einmündenden Nebenstraße gekommen. Im Kreuzungsbereich kam es zur Kollision beider Fahrzeuge. Der Unfallgegner (1) hatte geltend gemacht, es würde sich nicht um eine Kreuzung, sondern um zwei hintereinanderliegende Einmündungen handeln; er hätte sich daher bereits auf der Vorfahrtstraße befunden und Vorfahrt gehabt. Dem ist das Amtsgericht nicht beigetreten. Es hat zur Haftung ausgeführt:
„Der Kläger hatte bei seiner Einfahrt in den Kreuzungsbereich die Vorfahrt des sich von rechts nähernden Beklagten zu 1. zu beachten, § 8 Abs.1 Satz 1 StVO. Der Grundsatz ‚rechts vor links‘ gilt an Kreuzungen, an denen zwei Nebenstraßen auf eine abknickende Vorfahrtsstraße treffen, für diejenigen Fahrzeuge, die aus eben jenen Nebenstraßen kommen (vgl. nur LG Leipzig vom 12.1.1995 – 12 S 6421/94 – zitiert nach juris). Dabei erstreckt sich das Vorfahrtsrecht, wie auch an sonstigen Kreuzungen, auf den gesamten Kreuzungsbereich.
Etwas anderes ergibt sich hier auch nicht aus dem Umstand, dass die beiden wartepflichtigen Straßen nicht in einem spitzen Winkel aufeinander treffen, sondern die Freifläche zwischen ihnen abgerundet ist, um den Fahrern aus beiden Straßen die Einfahrt in die bevorrechtigte Hauptstraße zu erleichtern. Insoweit handelt es sich gleichwohl um einen einheitlichen Kreuzungsbereich. Der Kläger befand sich – unter Zugrundlegung der insoweit übereinstimmenden Situationsskizzen – noch immer in dem für die Straße Am Stener Berg bevorrechtigten Kreuzungsbereich. Er hatte sich noch nicht in die Vorfahrtsstraße eingegliedert, so dass er sich auf das Vorrecht der die Vorfahrtsstraße benutzenden Verkehrsteilnehmer noch nicht berufen kann (vgl. dazu auch OLG Stuttgart vom 17.12.93 – 2 U 89/93 – in NZV 94, 440f.; OLG Köln vom 7.2.90 – 13 U 227/89 – zitiert nach juris).
Kommt es im Kreuzungsbereich zur Kollision eines Wartepflichtigen mit einem sich bevorrechtigt von rechts nähernden Fahrzeug, spricht bereits der sich aus § 8 StVO ergebende Anscheinsbeweis für eine schuldhafte Unfallverursachung durch den Wartepflichtigen. Diesen Anscheinsbeweis hat der Kläger nicht erschüttert. Er vertraute auf sein vermeintliches Vorfahrtsrecht und nahm an, der Beklagte werde das schon berücksichtigen.
Auf der Grundlage der Erörterungen im Termin ist das Gericht jedoch zu der Überzeugung gelangt, dass auch den Beklagten zu 1. ein Mitverschuldensvorwurf trifft. Er hätte den Unfall bei Beachtung der ihm nach § 1 StVO obliegenden Pflichten vermeiden können und müssen. Die Verkehrssituation erscheint bei den geschilderten örtlichen Verhältnissen unübersichtlich. Die Frage, wer Vorfahrt hat, insbesondere in der spontanen Situation, in der sich die Verkehrsteilnehmer mit ihr konfrontiert sehen, muss als schwierig beurteilt werden, so dass auch Fehlbeurteilungen anderer Verkehrsteilnehmer in Betracht zu ziehen waren.
Der Vorfahrtsberechtigte darf deshalb nicht blind auf die Beachtung seines Vorrechts vertrauen, sondern muss das Verhalten des Wartepflichtigen beobachten und gegebenenfalls darauf reagieren (vgl. dazu insbesondere OLG Köln a.a.O.; vgl. auch zu einer etwas anders gelagerten Fallgestaltung, bei der der Unfallgegner die abknickende Vorfahrt verlassen will, OLG Hamm vom 9.7.97 – 27 U 208/95 – in NZV 97, 180ff.). Dies hatte der Beklagte zu 1. schon nach dem eigenen Vortrag der Beklagten nicht getan, denn er hat den Kläger nicht weiter beobachtet und sich einfach darauf verlassen, dass der Kläger ihn schon einfahren lassen werde.“